Ein kurzer Rückblick
Genau genommen ist Dialog in Japan schon länger präsent.
Ein kleiner Artikel im Wirtschaftsmagazin Nikkei über unsere Ausstellung in Wien weckte das Interesse von Shinsuke, der 1998 nach Rom reiste, um sich persönlich einen Eindruck zu verschaffen. Die Wirkung war zweifellos überwältigend, da er sich während der Tour verirrte und stundenlang im Dunkeln umherirrte, bis er den Ausgang fand. Doch diese Grenzerfahrung konnte seinen Entschluss nicht erschüttern. Sie motivierte ihn vielmehr, eine erste kurze Dialog-Präsentation in Tokio erfolgreich zu organisieren, was ihn weiter anspornte, Dialog im Dunkeln dauerhaft in Japan zu etablieren.
Im Jahr 2001 fand die erste große Ausstellung im Medienzentrum in Sendai statt, was mir meine erste Reise nach Japan ermöglichte, um eine mir bis dahin völlig fremde Welt zu entdecken. Ich war überwältigt von der Interpretation des DiD-Konzepts. Shinsuke entwarf einen größeren dunklen Raum ohne Abtrennungen, der es ermöglichte, dass jeweils nur ein Team von Besuchern den Raum betrat, um die Intensität der Erfahrung zu bewahren. Schnell wurde jedoch klar, dass die Ausstellung mit einem Team pro Stunde wirtschaftlich nicht tragfähig war. Nach und nach passte er das Konzept an, indem er die Gruppengröße auf acht Personen pro Team erhöhte, die im 20-Minuten-Takt eingelassen wurden.
Ich war beeindruckt von der Tiefe und philosophischen Durchdringung und begann allmählich zu verstehen, warum DiD in Japan so bedeutend ist. Im Gegensatz zum westlichen Verständnis hat Dunkelheit dort nicht ausschließlich negative Konnotationen. In seinem Essay "Lob des Schattens" (1933) beschreibt der Philosoph Tanizaki Jun’ichiro die Bedeutung von Dunkelheit und dem Ausschluss von Licht auf der Bühne oder in der Architektur. Er macht deutlich, dass dies Intimität unterstützt und die Vorstellungskraft anregt. Auch das Wort "Schwarz" hat im Japanischen unterschiedliche Bedeutungen, die in verschiedenen Kontexten genutzt werden.
Während meiner inzwischen fast jährlichen Besuche in Japan beeindruckte es mich, dass es Shinsuke und seinem wachsenden Team gelang, völlig neue Verbindungen mit DiD zu schaffen. Die späteren Ausstellungen in Jingumae in Tokio beispielsweise spiegelten die Jahreszeiten wider oder dienten in einem Hotel als Meditations- und Spa-Raum.
Eine besondere Geschichte
Eine Geschichte bleibt mir besonders in Erinnerung: Während der Finanzkrise besuchte ich Japan erneut. Ich wurde den neuen Teammitgliedern vorgestellt, begleitet von einer Freundin, die als Investmentbankerin bei Goldman Sachs arbeitete. Wir begrüßten alle, bis wir vor einer ziemlich schüchternen, kleinen, jungen blinden Frau stehen blieben. Ihr Name war Sakura, und nach etwas Ermutigung erzählte sie uns von ihrem Weg, Führerin bei Dialog zu werden. Sie lebte in ländlichem Japan, behütet von ihren Eltern und ohne Aussicht auf Arbeit. Sie hörte von Dialog, nahm den Zug nach Tokio, bewarb sich und wurde als Tourguide eingestellt. Ein erstaunlicher Beweis dafür, wie Dialog blinde Menschen stärken kann.
Meine Freundin, die Goldman-Sachs-Bankerin, war beim Verlassen des Standorts tief bewegt von Sakuras Geschichte. Sie war demütig angesichts ihres Mutes und fragte sich, warum sie selbst mit all ihren Privilegien, ihrer Karriere und ihrem Harvard-Abschluss so ängstlich und unsicher in die Zukunft blickte. Ich bin sicher, diese Erfahrung hat ihr Leben grundlegend verändert, und sie wurde von Sakura, der schüchternen, kleinen jungen Führerin aus dem ländlichen Tokio, inspiriert.
Weitere berührende Erlebnisse
Ein weiteres bewegendes Erlebnis hatte ich, als ich zwei junge japanische Frauen in der Hamburger Ausstellung entdeckte. Aus meiner wachsenden Neugier für Japan sprach ich sie an. Sie erzählten mir, dass sie von Dialog in Tokio gehört hatten, es aber nicht geschafft hatten, dorthin zu gehen. Also entschieden sie sich, nach Deutschland zu reisen, um ihre eigene Erfahrung zu machen.
Neben diesen direkten Erfahrungen wurde Dialog auch zur Inspirationsquelle für wissenschaftliche Untersuchungen. Dies wurde besonders deutlich, als ein bekannter Neurowissenschaftler Dialog-Mitarbeitende über ihre Raumwahrnehmung befragte, um herauszufinden, wie blinde Menschen architektonische Schönheit wahrnehmen. Während des Interviews fiel eine Yen-Münze zu Boden. Der Guide, der in diesem Moment interviewt wurde, sagte spontan: „100 Yen.“ Der Neurowissenschaftler konnte dies nicht verstehen, da er sich fragte, wie der Wert einer Münze anhand des Geräuschs beim Aufprall erkannt werden konnte. Das Experiment wurde wiederholt, und die außergewöhnliche Hörfähigkeit blinder Menschen wurde deutlich.
Krisen und Durchhaltevermögen
In den folgenden Jahren waren viele Mittel nötig, um die Projekte von Dialog im Dunkeln zu finanzieren. Tokio hat die höchsten Immobilienpreise, und es schien unmöglich, dass eine Dialog-Installation ohne öffentliche Gelder oder private Spenden wirtschaftlich tragfähig sein könnte. Dialog stand mehrmals kurz vor dem Aus, und ich erinnere mich an sehr ernste Diskussionen, sogar vor COVID, als es unmöglich schien, es weiterzuführen. Aber Shinsuke und Kiyoe gaben nicht auf.
Einblicke in die Zukunft
Ein Dialog Diversity Museum wurde in Tokio geschaffen und zeigt neben Dialog im Dunkeln auch unsere Ausstellungen Dialog im Stillen und Dialog mit der Zeit. 2025 soll in Hiroshima, das den Atombombenabwurf erlebte, ein neuer Dialog entstehen, um das 80. Jubiläum des Endes des Zweiten Weltkriegs zu gedenken.
Während der Jubiläumsfeier wurde in Anwesenheit vieler Unterstützer und Medienvertreter deutlich, wie hoch Dialog in Japan geschätzt wird. Wir sind dankbar, solche loyalen, kreativen und leidenschaftlichen Freunde zu haben, die uns in Krisenzeiten ein leuchtendes Beispiel sind.
Wir, die gesamte globale Dialogfamilie, gratulieren von Herzen und freuen uns auf die nächsten 25 Jahre Dialog mit unseren japanischen Freunden.